Zwischen den Tagen

Nun ist Weihnachten schon wieder vorbei und für mich war es das erste Mal ohne meinen Hubert. Wie hatte ich mich darauf gefreut. Sonst musste ich ihm immer seine Ente servieren mit Rotkohl und handgemachten Klößen. Stundenlang habe ich dafür in der Küche gestanden, während mein lieber Mann es sich bei einer Flasche Bier auf dem Sofa gemütlich machte. Fünf Flaschen später wankte er dann an den Tisch, um sich das Festmahl reinzuschaufeln. Natürlich gab es auch Geschenke, die ich gekauft und eingepackt hatte. So hielt sich die Überraschung über neue Socken für ihn und eine neue Schürze für mich in emotionalen Grenzen. Ich wollte es mir in diesem Jahr zum ersten Mal alleine auf dem Sofa gemütlich machen mit Nudelsalat und Eierlikör.
Aber da hatte ich die Rechnung ohne meine Nachbarn gemacht. Ihre Einladung abzulehnen, kam für die Müllers nicht in Frage, keiner soll doch am Heiligen Abend alleine zu Hause sitzen. Also besorgte ich ein paar Pralinen. Am frühen Abend wurde ich dann hereingelassen und ich muss sagen, die Müllers haben Geschmack. Der Tannenbaum strahlte in hellem Glanz und auch der Tisch war festlich gedeckt. Ich war schon sehr gespannt, was Frau Müller wohl gezaubert hatte. Allein die musikalische Untermalung ließ etwas zu wünschen übrig. Das, was aus der oberen Etage zu hören war, klang nämlich alles andere als weihnachtlich. Während Frau Müller mit einem entschuldigenden Lächeln im Gesicht zwei große Schüsseln auf dem Tisch stellte, machte sich ihr Mann auf den Weg nach oben.
Es dauerte eine ganze Weile bis er in Begleitung von Sohn Anton wieder herunterkam. Stumm setzte dieser sich an den Tisch und machte ein sauertöpfisches Gesicht. Zum Glück hatten wir nie Kinder. Mein Hubert, der war strikt dagegen. „Die fressen einem die Haare vom Kopf.“ Das war sein Standartspruch. Eine Glatze hat er trotzdem bekommen, so gesehen wäre ein Kind vielleicht doch ganz schön gewesen. Aber während ich mir mein Gegenüber so anschaute, taten mir die Müllers wirklich leid. Dann nahte der große Augenblick und Frau Müller hob die Deckel der Schüsseln an. Ich hatte ja schon mal davon gehört, dass die meisten Menschen an Weihnachten Kartoffelsalat und Würstchen essen. Bei meinen Nachbarn wird dazu traditionell Bier getrunken. Lukas und ich tranken Wasser. Er, weil er musste und ich, weil ich es wollte. Bier am Heiligen Abend weckt in mir nur ungute Gefühle. Irgendwie kam mir das Bild bekannt vor, als Anton das Essen in sich hinein schaufelte. Frau Müller schüttelte abermals mit einem entschuldigenden Lächeln den Kopf. Mehr oder weniger stumm ging dieser Teil des Abends vorbei.
Dann nahmen wir auf dem Sofa Platz und die Müllers tauschten ihre Geschenke aus. Ich war sehr gespannt und wurde total überrascht. Frau Müller bekam eine Schürze und sie schenkte ihm drei Paar neue Socken und das jeweils im selben Geschenkpapier. Mit einem weiteren entschuldigenden Lächeln wurde mir dann auch ein Päckchen überreicht. Es waren Küchenhandtücher drin. Der Einzige, der sich wirklich gefreut hat und das genau für eine Minute, das war Anton, als er einen Geldschein aus einem Briefumschlag nahm. Den steckte er sich direkt in die Hose, schnappte sich seine Jacke und dann fiel hinter ihm die Tür ins Schloss. Auf meine Frage, wo er denn jetzt noch hinwollte, antwortete Frau Müller ein letztes Mal mit einem entschuldigenden Lächeln, dass man das nicht so genau wüsste.
Auch ich hielt es für besser nun zu gehen. Die Müllers winkten mir noch lange hinterher, da saß ich schon auf meinem Sofa und schenkte mir den ersten Eierlikör ein. Ihre Einladung zu Silvester hatte ich bereits dankend abgelehnt.
Es grüßt ganz herzlich
Ihre Erna Prigge